BauSV 4/2024


Sachverständigenrecht


Ingo Kern, Oliver Kontusch


Online bei Gericht

Der Wille zur Innovation oder doch eher der Zwang dazu – zwischen beidem besteht bekanntlich ein großer Unterschied


Der Beitrag befasst sich mit der Videoverhandlung bei Gericht und den Anforderungen, die in diesem Zusammenhang an Sachverständige gestellt werden.


In einer Zeit, in der »digital Smartness« optimiert und professionalisiert wird, sind nicht nur Unternehmer angehalten, sich neuen Technologien anzupassen. Wir stehen bekanntlich an der Schwelle zur schöneren Welt eines neuen Zeitalters. Kommunikationstools und Automation Anywhere verlangen von uns die größtmögliche Beschleunigung unter Ausnutzung von Synergieeffekten. Virtuelle Assistenten wie Siri sind Software-Bots und werden immer häufiger zur Unterstützung der Kommunikation eingesetzt.

Der Begriff »Digitalisierung« ist dabei ein bisschen beschränkt, weil er an sich gar nichts beschreibt, außer einer mathematischen Abstraktion. Die meisten Menschen meinen, dass Digitalisierung ist, wenn man per App auf ein Fußballspiel in Südkorea wetten kann. Kennzeichnend dafür ist der unendlich wiederholte Gemeinplatz, der Digitalisierungsdruck biete Chancen und Risiken. Da sagt der eine so, der andere so, und alles stimmt irgendwie gleichermaßen oder auch nicht.

Von Gerichten wurden seit der Covid-19-Pandemie immer mehr Ausnahmen vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verlangt und zugelassen und das Bundesjustizministerium hat inzwischen einen »Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten« vorgelegt. Das klingt, wie man zugeben muss, überaus kenntnisreich und entschlossen. Immerhin kann man Deutschland keine mangelnde Gründlichkeit vorwerfen.

Ziel des Gesetzes ist es, den Einsatz von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit weiter zu fördern und die prozessualen Regelungen flexibler und praxistauglicher zu gestalten. Für Sachverständige ist besonders die Änderung des § 128a ZPO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO von Bedeutung: Nach der Gesetzesbegründung sollen sie ihr Gutachten leichter unmittelbar mündlich erläutern sowie Fragen der Beteiligten beantworten können, statt dies auf schriftlichem Weg zu tun.

In Abänderung der bisherigen Regelung, nach der die Teilnahme der Parteien, ihrer Bevollmächtigten und Beistände im Wege der Bild- und Tonübertragung lediglich »gestattet« werden kann (§ 128a Abs. 1 ZPO), wird der oder dem Vorsitzenden jetzt die Möglichkeit eingeräumt, eine Videoverhandlung für die Verfahrensbeteiligten anzuordnen (§ 128a Abs. 2 Satz 1 ZPO-E). Die unmittelbare Kommunikation zwischen Gericht und Prozessbeteiligten leistet einen bedeutenden Beitrag zur Wahrheitsfindung, zum Zustandekommen gerechter Entscheidungen und zum Herbeiführen einvernehmlicher Konfliktlösungen.

Mit allem Respekt vor Praktikabilitätsgründen scheint es aber in Ansehung gesicherter Erkenntnisse der Psychologie naheliegend, dass ein Zwang nicht dazu führen würde, die Garantie eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu wahren. Einen Zwang zur Teilnahme soll es daher nicht geben, sondern stets auch das persönliche Erscheinen im Gericht möglich sein.

Der Gesetzgeber hatte 2005 geregelt, dass Prozessakten elektronisch geführt werden können und mit Gesetz vom 05.07.2017 in § 298a ZPO angeordnet, dass sie ab 01.01.2026 in dieser Form zu führen sind. Die arthritische Langsamkeit von der Zulassung bis zur Einführung, mit der die Justizpolitik sich mehr als 20 Jahre Zeit gelassen hat, geht kaum auf eine Kuh-, Schafs- oder vegane Haut. Die Videoverhandlung nimmt dagegen im Schritt des schnellen Tretens kleiner Gänge einen scheinbar zunehmend größeren Stellenwert ein. Damit tangiert dieses Thema automatisch auch die Sachverständigen, die in Zukunft vermehrt vom heimischen Schreibtisch aus an Zivilverfahren teilnehmen werden.

Das Videoverhandeln nach § 128a ZPO ist für Sachverständige in zweierlei Konstellationen von Relevanz. Zum einen kann das auftraggebende Gericht eine mündliche Gutachtenerstattung nach § 411 Abs. 1 ZPO angeordnet haben. Zum anderen kann es um die mündliche Erläuterung eines zuvor schriftlich erstatteten Gutachtens gehen (§ 411 Abs. 3 ZPO). Ein solcher Antrag wird von wenigstens einer verfahrensbeteiligten Partei gestellt. Das Gericht muss diesem Ersuchen schon aus verfassungsrechtlichen Gründen – rechtliches Gehör i.S.d. Art. 103 GG – zwingend Folge leisten. In beiden Fällen wird der Sachverständige von außerhalb des Gerichtssaals zugeschaltet, um seine Expertise in Bild und Ton in das Sitzungszimmer zu übertragen.


Antragserfordernis

Für Sachverständige ist zunächst wichtig, dass das Gericht eine solche Videoverhandlung nicht ohne Weiteres ansetzt. Im Unterschied zu den Parteien, denen das Gericht deren Abwesenheit vom Sitzungssaal auch von Amts wegen gestatten kann (§ 128a Abs. 1 ZPO), muss der Sachverständige – will er extern teilnehmen – ausdrücklich einen dahin gehenden Antrag stellen (§ 128a Abs. 2 ZPO).

Auf den ersten Blick scheint sich für Sachverständige damit im landgerichtlichen Verfahren eine unüberwindliche Hürde aufzutun. Im landgerichtlichen Verfahren besteht nämlich nach § 78 Abs. 1 ZPO Anwaltszwang. Anders/Gehle folgern daraus, dass auch für die Antragstellung nach § 128a Abs. 2 ZPO ein Rechtsanwalt erforderlich sei. Das ist unter den Ungeheuern aber weniger ein Löwe mit langen Zähnen als ein Häschen mit langen Ohren.

§ 78 Abs. 1 ZPO bezweckt nämlich vor allem den Schutz der Parteien. In wirtschaftlich bedeutenden (landgerichtlichen) Verfahren mit einem Streitwert von mehr als 5.000,00 Euro sollen Laien keine Verfahrenshandlungen vornehmen. Sachverständige sind in diesem Sinn nicht verfahrensbeteiligt. Für sie ist § 128a Abs. 2 ZPO daher so zu verstehen, dass – egal vor welchem Gericht – der Antrag zum Videoverhandeln nach § 128a Abs. 2 ZPO auch ohne anwaltliche Unterstützung gestellt werden kann.


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