BauSV 3/2024


Rechtsprechungs-Report | Bauvertragsrecht


Eva-Martina Meyer-Postelt


Zur Kündigung trotz Bedenkenanmeldung


1. Der Auftraggeber eines VOB/B-Vertrags kann den Vertrag kündigen, wenn eine verbindliche Vertragsfrist für den Beginn der Ausführung vereinbart wurde, zu der der Auftragnehmer mit den ihm obliegenden Arbeiten nicht begonnen hat und der Auftraggeber zuvor erfolglos eine Frist zur Vertragserfüllung, verbunden mit der Androhung einer Kündigung des Auftrags, gesetzt hat.

2. Auch wenn der Auftragnehmer mehrfach schriftlich Bedenken gegen die Ausführung der Leistung mitgeteilt hat, scheidet ein Leistungsverweigerungsrecht aus, wenn der Auftraggeber den Auftragnehmer ausdrücklich angewiesen hat, mit den Arbeiten zu beginnen, und der Auftraggeber dadurch das Risiko einer mangelhaften Ausführung übernommen hat.

BGH, Urteil vom 01.02.2024 – VII ZR 171/22


Zum Sachverhalt

Die Klägerin K verlangt vom Beklagten B Ersatz von Mehrkosten nach mehreren Teilkündigungen des zwischen den Parteien geschlossenen VOB-Werkvertrags über die Ausführung von diversen Bodenbelagsarbeiten, nämlich Parkettverlegearbeiten in der Halle 2 und Parkett-, Linoleum- und Teppichverlegearbeiten in der Halle 1 eines Gebäudekomplexes.

Der B erschien zum verabredeten Beginntermin nicht auf der Baustelle, sondern meldete Bedenken bezüglich der Ausführung der Leistungen im Hinblick auf eine zu hohe Restfeuchte des Estrichs an. Die K ließ daraufhin den Estrich durch ihren Architekten prüfen. Diese Prüfung ergab die Belegreife. Dies teilte die K dem B mit und wies damit die Bedenkenanmeldung zurück. Gleichzeitig forderte die K den B erneut auf, mit den Arbeiten in Halle 2 zu beginnen und setzte zudem eine Fertigstellungsfrist. Der B meldete wiederum Bedenken an, die die K umgehend zurückwies und den Vertrag mit B in Bezug auf die Parkettarbeiten in der Halle 2 kündigte.

In Bezug auf die Halle 1 vereinbarten die Parteien neue Ausführungstermine. Nachdem es bei diesen Arbeiten zu Verzögerungen gekommen war, setzte die K dem B neue Fristen für Beginn und Fertigstellung der Arbeiten in der Halle 1 und kündigte im Falle des fruchtlosen Fristablaufs den Auftragsentzug an. Nachdem der B erneut Bedenken wegen bestehender Restfeuchte angemeldet hatte, kündigte die K sukzessive den Vertrag auch hinsichtlich aller Restarbeiten in Halle 1.

Die K beauftragte anschließend verschiedene Drittunternehmer mit den von B nicht ausgeführten Arbeiten. K behauptet, ihr seien dadurch nach der anderweitigen Ausführung, die von ihr bezahlt worden sei, Mehrkosten in Höhe von insgesamt Euro 155.032,23 entstanden. Einen Vollstreckungstitel über den Teilbetrag von Euro 58.042,64 hat die K im Rahmen eines Mahnverfahrens gegen B erlangt. Der Restbetrag von Euro 96.980,68 ist Gegenstand der Klage. Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der verlangten Zinsen in voller Höhe stattgegeben. Beim OLG hat die Berufung des B keinen Erfolg. Mit der vom OLG zugelassenen Revision will B die Abweisung der Klage endgültig durchsetzen.


Aus den Gründen

Die Revision des Beklagten B ist unbegründet. Das OLG hat zur Begründung der Entscheidung u.a. Folgendes ausgeführt: Der Klägerin K stehe gegen den Beklagten B ein Anspruch auf Ersatz der ihr entstandenen Mehrkosten aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VOB/B i.V.m. § 5 Abs. 4 Fall 1 sowie § 5 Abs. 4 Fall 3, Abs. 3 VOB/B zu. Denn die K habe aufgrund des jeweils fruchtlos verstrichenen Baubeginns außerordentliche Teilkündigungen aussprechen dürfen. Insbesondere habe dem B nach den ausdrücklichen Anweisungen der K zur Aufnahme der Arbeiten kein Leistungsverweigerungsrecht zur Seite gestanden, ohne dass es auf die Höhe der Restfeuchte oder des Vorhandenseins von Schüsselungen ankäme.

Nach den ausdrücklichen und nachhaltigen Hinweisen der K sei die Haftung des B für die aus den Anweisungen resultierenden Mängel entfallen. Der B habe innerhalb der gesetzten Fristen mit den ihm obliegenden Arbeiten nicht begonnen. Der B sei der Behauptung der K, er habe keinerlei Arbeiten bis zum Ablauf der jeweils gesetzten Nachfristen durchgeführt, nicht entgegengetreten. Ein Verschulden werde regelmäßig vermutet. Es habe dem B oblegen, Gründe für sein fehlendes Verschulden vorzutragen.

Ferner vermöge der B mit seinen gegen die Anspruchshöhe gerichteten Angriffen nicht durchzudringen. Soweit der B insoweit eine Überraschungsentscheidung des Landgerichts rüge, versäume er bereits, näher darzulegen, was er auf einen entsprechenden Hinweis hin vorgetragen hätte. Dann aber bleibe es bei der zutreffenden Feststellung des Landgerichts, der B habe die nachvollziehbar dargestellten Mehrkosten der K nicht substantiiert bestritten, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Dabei fehle es dem Vortrag der K auch nicht an einer Nachvollziehbarkeit, weil die K vorgerichtlich einen niedrigeren Schaden geltend gemacht habe. Eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht komme schon deswegen nicht in Betracht, weil das Verfahren entscheidungsreif sei.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die K kann von dem B die ihr infolge der Teilkündigungen entstandenen Mehrkosten in Höhe von 96.980,68 Euro gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VOB/B i.V.m. § 5 Abs. 4 Fall 1 VOB/B erstattet verlangen. Die K hat den Vertrag mit dem B über die Ausführung von Bodenbelagsarbeiten durch die von ihr ausgesprochenen Teilkündigungen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 VOB/B i.V.m. § 5 Abs. 4 Fall 1 VOB/B insgesamt wirksam gekündigt.

Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des OLG hatten die Parteien für alle in verschiedenen Teilbereichen der Gebäude zu erbringenden Leistungen verbindliche Vertragsfristen für den Beginn der Ausführung vereinbart, zu denen der B mit den ihm obliegenden Arbeiten nicht begonnen hat. Die K hat dem B unstreitig vor jeder einzelnen Teilkündigung erfolglos eine Frist zur Vertragserfüllung gesetzt, verbunden mit der Androhung einer Kündigung des Auftrags.

Dem B stand entgegen der Auffassung der Revision kein Leistungsverweigerungsrecht zu, weil der Estrich jeweils eine zu hohe Restfeuchtigkeit aufwies. Der B hatte gegenüber der K insoweit zwar mehrfach schriftlich Bedenken gegen die Ausführung der Leistung gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B mitgeteilt. Ein Leistungsverweigerungsrecht scheidet, wie das OLG zutreffend ausführt, jedoch deswegen aus, weil die K den B jeweils ausdrücklich angewiesen hatte, mit den Arbeiten zu beginnen.

Die K hat danach das Risiko einer mangelhaften Ausführung, die auf einer zu hohen Restfeuchtigkeit beruhte, übernommen. Die Angriffe der Revision gegen die dahingehende Auslegung der Erklärungen der K durch das OLG greifen nicht durch. Ein Ausnahmefall, der den B berechtigte, die Ausführung der Leistung trotz der von der K ausgesprochenen ausdrücklichen Anweisung, die Leistung vorzunehmen, und der vorliegenden Haftungsübernahmeerklärung zu verweigern, liegt nicht vor.


Anmerkung

Im Übrigen hat der BGH in seinem Urteil noch ausführlich begründet, dass die K den mit der Klage geltend gemachten Mehrkostenerstattungsanspruch entgegen der Auffassung der Revision auch zur Höhe hinreichend dargelegt hatte. Danach ist die K, nachdem der mit dem B geschlossene Bauvertrag durch mehrere Teilkündigungen insgesamt beendet worden war, nicht verpflichtet gewesen, den auf Erstattung der infolge der Kündigungen entstandenen Mehrkosten gerichteten Anspruch hinsichtlich der jeweils ausgesprochenen Teilkündigungen im Einzelnen aufzuschlüsseln.

Es ist nach den Feststellungen des BGH zur bestimmten Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausreichend, die infolge der Beendigung des Vertrags infolge der Kündigungen entstandenen Mehrkosten insgesamt darzulegen. Eine Zuordnung der Mehrkosten zu den durch die einzelnen Teilkündigungen jeweils ausgelösten Leistungen der Drittunternehmer wäre dagegen nur erforderlich, wenn die K lediglich eine Teilforderung geltend gemacht hätte, was aber nicht der Fall war.

Die K hat die ihr durch die Beauftragung von Drittunternehmern für die Ausführung der von dem B noch zu erbringenden Leistungen entstandenen Kosten im Einzelnen dargelegt und hiervon die von dem B hierfür nach dem Vertrag zu beanspruchende Vergütung in Abzug gebracht. Insofern hat sich die K korrekt verhalten.

EMMP


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