BauSV 4/2023


Baurecht


Mark Seibel


Mangelhafte Bauleistung und technische Regelwerke

DIN-Normen etc.


Sofern die Parteien im Bauvertrag nicht etwas Abweichendes wirksam vereinbart haben (vertraglich vereinbarte Beschaffenheit, § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 2 VOB/B), sind die »allgemein anerkannten Regeln der Technik« als Mindeststandard einzuhalten. Soweit Zöller kürzlich darauf hingewiesen hat, die »allgemein anerkannten Regeln der Technik« seien »nicht mit belastbaren Inhalten hinterlegt« und dieser Technikstandard sei eine »juristische Illusion« (so Zöller in Der BauSV 3/2023, 56), überzeugt das nicht.

Der folgende Beitrag verdeutlicht, welchen Inhalt die »allgemein anerkannten Regeln der Technik« haben und warum sie auch zukünftig die juristische Beurteilung der Mangelhaftigkeit einer Bauleistung im öffentlichen und privaten Baurecht prägen werden. Ein Abgesang auf diesen in zahlreichen Gesetzen verankerten Technikstandard ist der falsche Weg (öffentlich-rechtlich zuletzt z.B. in § 3 NELEV [Elektrotechnische-Eigenschaften-Nachweis-Verordnung] verwendet; privatrechtlich gilt der Begriff [unausgesprochen] sowohl nach § 633 Abs. 2 BGB [BT-Drucks. 14/6040, 261 rechte Spalte oben [zu § 633 Abs. 2 BGB): »Dass, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die anerkannten Regeln der Technik einzuhalten sind, ist nicht zweifelhaft. Eine ausdrückliche Erwähnung bringt deshalb keinen Nutzen.«] als auch [ausdrücklich] nach § 13 Abs. 1 Satz 2 VOB/B).

Es ist nicht die Aufgabe von Sachverständigen, gesetzlich vorgegebene Anforderungen abzuschaffen. Maßstab bleiben die geltenden Gesetze! Den von Zöller (Der BauSV 3/2023, 56 ff.) zutreffend dargestellten Schwierigkeiten im Umgang mit dem unbestimmten Rechtsbegriff »allgemein anerkannte Regeln der Technik« kann ggf. durch eine inhaltliche Neuausrichtung des Begriffs Rechnung getragen werden.


1. Einleitung

Die folgenden Ausführungen behandeln eine der grundlegendsten – zeitlos aktuellen – Fragen des privaten Baurechts: Wann ist eine Bauleistung mangelhaft?

Dass diese Problematik insbesondere im privaten Bauprozess eine wichtige Rolle spielt, braucht nicht näher erläutert zu werden. Der Verfasser kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass bei der Beantwortung dieser Frage vielfach große Unsicherheiten bei allen Beteiligten – seien es Richter, Rechtsanwälte, Vertreter von Bauunternehmen oder Bauherren – bestehen.

Dies hängt vor allem damit zusammen, dass eine bauvertragliche Leistung ihrer Natur nach technischen Charakter hat. Das ist auch der Grund dafür, warum in diesem Zusammenhang technische Standards und technische Regelwerke (DIN-Normen etc.) relevant werden. Der Rechtscharakter und die Wirkungsweise solcher technischen Regeln werden jedoch häufig missverstanden.

Im Folgenden wird dargestellt, welche Leistung der Auftragnehmer aufgrund des mit dem Auftraggeber geschlossenen Werkvertrags/Bauvertrags schuldet bzw. welche Leistung der Auftraggeber nach dem Inhalt des Vertrags redlicherweise erwarten kann. Dabei wird schnell klar, dass technische Standards zu beachten sind – die »allgemein anerkannten Regeln der (Bau-)Technik« dienen als Mindeststandard eines Bauvertrags. Insofern ist fraglich, wie der Inhalt der »allgemein anerkannten Regeln der Technik« zu bestimmen ist.

An dieser Stelle wird oft pauschal darauf hingewiesen, dieser Standard werde durch technische Regelwerke (DIN-Normen etc.) ausgefüllt. Ob dies zutrifft, wird zu untersuchen sein. Die folgende Darstellung beschränkt sich aber nicht nur auf dogmatische Ausführungen, sondern verdeutlicht anhand von ausgewählten Beispielen aus der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung das Zusammenspiel zwischen der Beurteilung der Qualität einer Bauleistung und technischen Normen.

 

2. Die Leistungspflicht des Bauunternehmers

a) Die nach dem Vertrag geschuldete Leistung

Um zu beantworten, ob eine mangelhafte Bauleistung vorliegt, muss zunächst geklärt werden, welche Leistung der Bauunternehmer nach dem vereinbarten Vertragsinhalt zu erbringen hat. Ob ein Gewerk mangelfrei ist, richtet sich – sofern zwischen den Vertragsparteien nichts anderes vereinbart wurde – nach dem Leitbild der §§ 631 ff. BGB (BGB-Vertrag) bzw. § 13 Abs. 1 VOB/B (VOB-Vertrag).

Die vorgenannte Einschränkung folgt aus dem Umstand, dass die Vertragsparteien aufgrund der ihnen zustehenden Privatautonomie ohne Weiteres über dem Norminhalt liegende Anforderungen vertraglich vereinbaren können. Im Rahmen der nun folgenden Untersuchung sollen allein die Sachmangelkriterien von Interesse sein.

Zunächst hat der Werkunternehmer nach § 633 Abs. 2 BGB dafür einzustehen, dass sein Gewerk die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufweist (§ 633 Abs. 2 Satz 1 BGB – 1. Sachmangelvariante).

Soweit eine Beschaffenheit vertraglich nicht vereinbart wurde, muss sich das Gewerk für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignen (§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB – 2. Sachmangelvariante).

Ansonsten muss es für die gewöhnliche Verwendung geeignet sein und eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Auftraggeber nach der Art der Leistung erwarten kann (§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB – 3. Sachmangelvariante).

Weiterhin muss die Werkleistung – auch wenn dies im Unterschied zu § 13 Abs. 1 Satz 2 VOB/B nicht ausdrücklich im Wortlaut von § 633 Abs. 2 BGB erwähnt wird – auf allen vorgenannten Stufen zumindest auch den »allgemein anerkannten Regeln der Technik« (stillschweigend vereinbarter Mindeststandard) entsprechen.

Der Wortlaut von § 633 Abs. 2 BGB ist vom Gesetzgeber »unglücklich« formuliert worden. Nach § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB liegt zunächst dann ein Sachmangel vor, wenn das Werk nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit einhält (§ 633 Abs. 2 Satz 1 BGB). § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB betrifft nach seinem Wortlaut hingegen nur diejenigen Sachmangelfälle, in denen eine vertragliche Vereinbarung über die Beschaffenheit des Werks zwischen den Parteien nicht getroffen wurde.

In dem zuletzt genannten Bereich unterscheidet das Gesetz noch danach, ob sich das Werk für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB) oder – wenn eine solche fehlt – für die gewöhnliche Verwendung (§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB) eignet. Nur im Falle der gewöhnlichen Verwendungseignung soll das Werk zudem noch der üblichen Beschaffenheit entsprechen, die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann.

Intention der Neufassung von § 633 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz war die Anpassung an Art. 2 der europäischen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Dadurch sollte im Kauf- und Werkvertragsrecht ein einheitlicher Sachmangelbegriff eingeführt werden. Aus den Erwägungsgründen zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie geht hervor, dass die dort genannten Sachmangelvarianten kumulativ gelten sollen.

Das bedeutet, dass die Elemente der Beschaffenheit und des Verwendungszwecks nach der Richtlinie grundsätzlich nebeneinander gelten und sich keinesfalls gegenseitig ausschließen. Diese Anforderungen finden sich im Wortlaut von § 633 Abs. 2 BGB nicht wieder. Das Gesetz scheint vielmehr ausdrücklich zwischen der Beschaffenheit und dem Verwendungszweck im Sinne eines Alternativverhältnisses differenzieren zu wollen.

Würde man strikt nach dem Wortlaut von § 633 Abs. 2 BGB vorgehen, so hätte dies beispielsweise zur Folge, dass ein Gewerk schon dann mangelfrei wäre, wenn allein die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit – u.a. die Ausführungsvorgabe – eingehalten würde. Nach dem Wortlaut von § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB (»Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, …«) käme es in diesem Fall überhaupt nicht mehr auf die Verwendungseignung – weder die vertraglich vorausgesetzte noch die gewöhnliche – an.


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