Abb. 4: Dachterrassenfläche mit einer Abdichtung, die ohne Gefälle geplant wurde. Nach Niederschlagsereignissen entwässert diese Dachabdichtung annähernd vollständig.

Matthias Zöller


Gefälle in Abdichtungsregeln – normativer Standard?


Einleitung

Um es vorwegzunehmen: Ich habe nichts gegen Gefällegebungen an Flachdächern. Weiterhin bin ich davon überzeugt, dass alle, die sich an der Diskussion um Regelungen zum Gefälle an Flachdächern beteiligen, vom gemeinsamen Bestreben geleitet sind, zuverlässige Dachflächen zu erreichen. Es wird nur um den besten Weg dahin gerungen.

In der Vergangenheit hat man sich in verschiedenen Bereichen des Bauens damit auseinandergesetzt, welche Aufgaben technische Regelwerke für das Baugeschehen und insbesondere für Abdichtungen einnehmen können und sollen. Maßgebliche Regelwerke enthalten z.B. Gefälleanforderungen, die den Grundsätzen des Werkvertragsrechts entgegenstehen, da sich diese nicht aus Notwendigkeiten für Abdichtungsschichten, sondern aus nicht in Abdichtungsregelwerken beschriebenen Anforderungen an Beläge ergeben.

Auch wird Gefälle nach differenzierten Kriterien für die Planung gefordert, nicht aber für die Ausführung, da dort die Anforderungen nicht eingehalten werden können und deswegen nach dem technischen Verständnis der Norm auch nicht eingehalten werden müssen. Das juristische Verständnis kann aber davon abweichen, da Leistungsversprechungen aus Planungsvorgängen regelmäßig auch Maßstab für die Bewertung ausgeführter Leistungen sind.

Sobald man sich an etwas gewöhnt hat, wird es häufig nicht hinterfragt, sondern unkritisch hingenommen. Es verselbstständigt sich. Setzt man sich aber mit werkvertraglichen Anforderungen und dem Sinn normativer Regelungen angesichts der Kernaufgabe der Standardisierung auseinander, kommen Fragen auf, die in diesem Beitrag angesprochen werden. Es stellt sich so die Frage, ob die derzeitigen Regelungen einen nicht rechtlichen, sondern ausschließlich technischen Standard bilden, der Rechtsfolgen entwickeln kann.

Technische Regeln werden nicht nur von Technikern genutzt, sondern selbstverständlich auch von Juristen, wenn Vertragspartner – aus welchen Gründen auch immer – juristische Hilfe benötigen. Juristen haben aber einen anderen Bezug zu textlichen Formulierungen als Techniker. Während Techniker technische Regeln eher als Hilfestellung und nicht immer als genau und zwingend umzusetzen verstehen, sehen Juristen in ihrer von Gesetzestexten gewohnten Lesart mehr den Buchstaben – auch in technischen Regelwerken. Schließlich können sie, von Berufs wegen, technische Texte nicht auslegen.

Jedem Bauschaffenden ist bewusst, dass die Erfüllung einer planerischen Anforderung mit einer genauen Neigungsangabe an einer gebauten Dachfläche nicht erwartet werden darf. Es gibt viele Gründe, dass das gebaute vom geplanten Gefälle abweicht. Selbst mit hohem Aufwand lässt sich eine punktgenaue planerische Vorgabe in Bezug zum Gefälle an Dächern nicht umsetzen. Dies hat zu den Zusätzen in den Regelwerken geführt, dass selbst bei einer Gefällegebung von bis zu 5% Pfützenbildung nicht zu vermeiden ist (Abb. 1).

Andererseits möchte man nicht, dass sich auf Dachflächen große Wassermengen ansammeln. Man könnte befürchten, dass

  • durch kleinere Löcher, die nicht nur während der Herstellung, sondern auch im Zeitraum der Nutzung entstehen könnten, vermehrt Wasser in den Dachaufbau eindringen kann, 
  • sich im Bereich von Pfützen Schmutz ablagert, der zur Kerbspannung und damit zur Rissgefährdung von Dachbahnen führen könnte,
  • im Bereich von Pfützen die Temperatur der Dachbahn geringer ist als in unmittelbar angrenzenden Bereichen und deswegen Materialprobleme entstehen könnten, 
  • Mikroben innerhalb von Pfützen, insbesondere in Verbindung mit organischen Ablagerungen, Bakterien bilden, die die Dachbahn schädigen können; als Besonderheit werden Rotalgen gefürchtet, die die Oberschichten von Bahnen zersetzen könnten. 

Diese bei gefällelosen Dächern befürchteten Risiken sind in der gegenwärtigen DIN 18531 von 2017 Anlass, Dächer mit Gefälle grundsätzlich einer höherwertig gedachten Anwendungsklasse zuzuordnen als Flachdachflächen ohne Gefälle.

Sind aber Dächer mit einem geplanten Gefälle von 2% tatsächlich besser, wenn sie in der Ausführung unvermeidbar von den planerischen Vorgaben abweichen und damit zumindest stellenweise oder auch in größeren Teilflächen wegen z.B. Deckendurchbiegungen kein Gefälle oder sogar Gegengefälle haben?

Wie ist dieser Spagat zu lösen? Sollte man grundsätzlich eine Neigung von 5% fordern, also mit einem Vorhaltemaß von 3 bis 4% arbeiten? Das hätte zur Folge, dass in einigen Teilbereichen rechnerisch 8 bis 9% Neigung entstünden, was sicherlich in Einzelfällen zu steil ist.

Außerdem können fallbezogen hohe Kosten für die Herstellung von gefällegebenden Schichten oder gar größere Stockwerkhöhen kommen, um Platz zu schaffen für die höheren Anschlüsse, die sich an Hochpunkten von Dachflächen ergeben. Wenn aber dies z.B. im Bestand oder wegen anderer Zwänge nicht möglich ist, sollte dann ein Besteller oder ein Nutzer ein zu befürchtendes Risiko eingehen müssen, das sich ausschließlich daraus ergeben soll, dass eine Dachbahn nicht mit einem solch steilen Gefälle verlegt werden kann?


Werkvertragliche Anforderungen

Werkleistungen müssen (neben der Einhaltung von Beschaffenheitsvereinbarungen) regelmäßig so beschaffen sein, dass sie die vom Vertrag vorausgesetzte und sonst die gewöhnliche Verwendungseignung sicherstellen. 

Regelwerke sind grundsätzlich auslegungsbedürftig. Das ergibt sich schon daraus, dass Regelwerke allgemein gehalten sein müssen, da Regelwerksverfasser den konkreten Anwendungsfall nicht kennen. Anwender von Regelwerken müssen den Transfer von Regelwerksinhalten zu den konkreten Anforderungen leisten. Bereits das erfordert die Anpassung von Regelwerksanforderungen an die jeweils gestellte Aufgabe.

Enthalten (allgemein gehaltene) Regelwerke etwas, was dem (vertragsbezogenen, konkreten) Werkerfolg entgegensteht, müssen sie nach § 133 und § 157 BGB nach dem wirklichen Willen der Parteien ausgelegt werden. Dazu zählen nicht nur Aspekte der Zuverlässigkeit, sondern alle Aspekte, die einen Werkvertrag betreffen, also auch die Kosten für die Maßnahmen unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots.

Die Auslegungspflicht ist damit nicht die Ausnahme, sondern alltägliche Regel. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich Regelwerke nicht an einem notwendigen Standard orientieren, sondern etwas beschreiben, von dem man glaubt, dass es »normalerweise« so gebaut wird.

Eine Dachabdichtung muss dauerhaft dicht sein und das für die vorgesehene wirtschaftliche Nutzungsdauer bei üblichen und möglichen Instandhaltungen unter den zu erwartenden Einwirkungen – und nicht nur wie Dachdeckungen regensicher. Wenn ein Dach nicht nur – wie bei einer offenen Unterstellhalle oder bei einem Balkon – die Niederschlagsmenge reduzieren soll, sondern über einem normal oder hochwertig genutzten Raum liegt, muss es vollständig dicht sein. Schon eine einzige Fehlstelle kann dem Werkerfolg entgegenstehen.

Dieser Anforderung kann man entgegenhalten, dass ein kleinerer Schaden weniger schlimm ist als ein größerer und deswegen eine mit 2% geplante Dachneigung zu einem zuverlässigeren Dach führt, weil die Schadensfolge bei einer Fehlstelle mit einiger Wahrscheinlichkeit geringer ist. Wenn Wasser aus einer größeren Ansammlung in die Dachkonstruktion eindringt, sind die Auswirkungen bedeutsamer, als wenn nur tröpfchenweise Wasser eindringt. 

Dennoch sind beide Zustände inakzeptabel. Man wird eine löchrige Abdichtung nicht akzeptieren, nur weil sie im Gefälle verlegt ist, auch nicht eine, in der nur an wenigen Stellen kleine Löcher vorhanden sind, durch die aber noch immer Wasser in den Dachquerschnitt eindringen kann (vgl. Abb. 2 und 3). Ein Dach muss dauerhaft dicht sein, Wasser darf grundsätzlich nicht eindringen können.

Wenn diese Anforderungen an Dachabdichtungen zu stellen sind, müssen Abdichtungen, auf denen sich nur in kleineren Teilbereichen Pfützen bilden können, auch dort dauerhaft dicht sein. Wenn diese Eigenschaften gewährleistet sind, gibt es keinen technisch nachvollziehbaren Grund zu verlangen, dass Teilbereiche frei von stehendem Wasser sein müssen.

In diesem Beitrag geht es nicht um die Frage der Entwässerung, sondern um die der Anforderungen an Dachabdichtungen, an Bahnenqualitäten und an die baustellengerechte Verarbeitbarkeit mit dem Ziel, Bauarten sicherzustellen, die dauerhaft dichte Dächer gewährleisten. Es geht um einen normativen Standard für Dachabdichtungen und nicht um die Frage einer Dachentwässerung, solange diese keine Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit von Dachabdichtungen haben kann. Das ist bei geplanten Gefällen von 2% nicht der Fall, sondern erst bei Dachneigungen von mehr als 5% (an allen Stellen einer Dachfläche), sodass sich an keiner Stelle Pfützen bilden können.

Beschränkt man sich auf die Anforderungen an Dachabdichtungen, bringt es nicht viel, Gefälle von 2% zu planen oder das zu lassen. Das bedeutet nicht, dass deswegen Dachflächen vollflächig überstaut werden sollten. Es bedeutet aber, dass Dachabdichtungen, auf denen sich aufgrund ihrer geplanten Neigung von 2% noch immer Pfützen bilden können, gegen stehendes Wasser in allen Bereichen beständig sein müssen – egal, wo sich Pfützen bilden.

Daher ist die Planung eines Gefälles von 2% kein anforderungsminderndes Merkmal für Dachabdichtungen oder eines, was eine Dachabdichtung unter werkvertraglichen Aspekten »besser« macht. Entwässerungen von Dachflächen können selbstverständlich sinnvoll sein, sollten aber dann in den dafür gedachten Regeln für Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke behandelt werden und nicht in einer Regel, die Anforderungen an Abdichtungen regelt.


Den ganzen Beitrag können Sie in der Februar-Ausgabe von »Der Bausachverständige« lesen.
Informationen zur Einzelheft- und Abo-Bestellung

Diesen Beitrag finden Sie auch zum Download im Heftarchiv.

 

NEWSLETTER

Der BauSV-Newsletter bietet Ihnen alle zwei Monate kostenlos aktuelle und kompetente Informationen aus der Bausachverständigenbranche.

zur Newsletter-Anmeldung

Zurück zum Seitenanfang