Befangenheit und Vergütung
Lange Verfahrensdauern in Bauprozessen sind keine Seltenheit. Umso mehr muss der gerichtlich bestellte Bausachverständige bei seiner Gutachtenerstattung im Umgang mit den Parteien oder Parteivertretern Vorsicht walten lassen, damit er nicht erfolgreich als befangen abgelehnt wird.
Ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch würde nicht nur eine neue Beweiserhebung durch einen anderen Bausachverständigen notwendig machen und auf diese Weise eine erhebliche Verfahrensverzögerung nach sich ziehen, sondern darüber hinaus ggf. dem Bausachverständigen dessen Vergütungsanspruch entziehen.
Der Beitrag beschäftigt sich mit den Verhaltensweisen des Bausachverständigen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, sowie speziellen vergütungsrechtlichen Fragestellungen.
A. Befangenheitsgründe
Ein Bausachverständiger kann nach § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken. Unerheblich ist es, ob der gerichtlich beauftragte Bausachverständige tatsächlich parteilich ist oder ob das Gericht Zweifel an der Unparteilichkeit hegt; entscheidend ist allein, ob für die das Ablehnungsgesuch stellende Partei der Anschein einer nicht vollständigen Unvoreingenommenheit und Objektivität besteht. [1] Im Folgenden sollen die in der Praxis immer wiederkehrenden Befangenheitsgründe näher skizziert werden.
I. Überschreitung des Gutachtenauftrags
Der Bausachverständige hat sich grundsätzlich an den Inhalt des Beweisbeschlusses und den im Zivilprozessrecht geltenden Beibringungsgrundsatz zu halten. Zweifel an der Unparteilichkeit des Bausachverständigen können dadurch begründet sein, wenn seine Feststellungen über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinausgehen und vom Auftrag nicht erfasste Fragen beantwortet werden.
Hiervon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Bausachverständige bei der Gutachtenerstellung eigenmächtig über die ihm durch den Beweisbeschluss und den Gutachtenauftrag gezogenen Grenzen hinausgeht und sich daraus eine parteiliche Tendenz zugunsten oder zulasten einer Partei ergibt oder aber den Prozessbeteiligten in unzulässiger Weise den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits weist.
Gleichwohl rechtfertigt nicht jede Überschreitung des Gutachtenauftrags bereits die Besorgnis der Befangenheit. Vielmehr ist insoweit eine Entscheidung nach Lage des Einzelfalls zu treffen. Dabei kann eine Stellungnahme des Bausachverständigen, die Komplexität der Beweisfrage und die Fülle des Prozessstoffes zu berücksichtigen sein. [2]
Da Beweisbeschlüsse in Bauprozessen häufig auf mehreren Seiten komplexe Tatsachenbehauptungen enthalten, können aus Sicht des Bausachverständigen Unklarheiten in der Regel nicht vermieden werden. Hat der Bausachverständige Zweifel an Inhalt und Umfang des Auftrags, so hat er gemäß § 407a Abs. 4 S. 1 ZPO eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen; ein Pflichtverstoß kann ansonsten den Wegfall oder die Beschränkung des Vergütungsanspruchs nach sich ziehen (vgl. § 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JVEG).
II. Fehlinterpretation des Gutachtenauftrags
Liegt in Ansehung aller Umstände eine bloße Fehlinterpretation des Gutachtenauftrags vor, stellt dies regelmäßig keinen Befangenheitsgrund dar. Dieser Vorwurf betrifft in der Sache nicht die Unparteilichkeit des Bausachverständigen, sondern die Qualität des Gutachtens. [3]
III. Arbeitsverzögerung
Ein Bausachverständiger kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn er nach mehrfachen Sachstandsnachfragen, Fristsetzungen und Ordnungsgeldandrohungen innerhalb der verlängerten Abgabefrist eine gutachterliche Stellungnahme abgibt, welche die gestellten Fragen über weite Strecken mit dem absoluten sprachlichen Minimum beantwortet, wohl mit dem vorrangigen Ziel, den Gutachtenauftrag rein formell betrachtet (gerade noch) als erfüllt ansehen zu können, um eine Entziehung des Auftrags mit entsprechenden finanziellen Folgen einschließlich einer eventuellen Auferlegung der durch die Verzögerung verursachten Kosten zu vermeiden.
Bei einer solchen Vorgehensweise kann eine verständige Partei nachvollziehbar den Eindruck gewinnen, der Bausachverständige stelle seine eigenen Interessen über das Interesse der Partei an der Beantwortung der von ihr aufgeworfenen Fragen, nehme also ihr Anliegen nicht ernst und verweigere ihr die Rechtsfindung.
Dass Bausachverständige die Gutachtenaufträge nicht in der von den Gerichten häufig zu kurz bemessenen Frist bewerkstelligen können, ist mittlerweile zur Normalität geworden. Dem Bausachverständigen ist kurz vor Ablauf einer Bearbeitungsfrist zu raten, Kontakt mit dem Gericht aufzunehmen, um das weitere Vorgehen zu erörtern. Sonst droht dem Bausachverständigen der Verlust seines Vergütungsanspruchs (§ 8a Abs. 2 S. 2 Nr. 3 JVEG).
[1] BGH GRUR 2002, 369; 2008, 191 Rn. 5
[2] OLG München BeckRS 2023, 10498 Rn. 27 m.w.N.
[3] OLG Karlsruhe BeckRS 2023, 1160 Rn. 30 ff.
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