BauSV 3/2023


Baurecht


Matthias Zöller


Allgemein anerkannte Regeln der Technik und Regelwerke

Dürfen a.a.R.d.T. mit Regelwerken gleichgesetzt werden? – Nein!


A.a.R.d.T. sind ein (rein) juristisches Instrument, das nicht mit belastbaren Inhalten hinterlegt ist – weder juristisch, noch technisch, auch nicht durch Regelwerke. Der folgende Beitrag zeigt auf, dass zwar a.R.d.T. regelmäßig zur Bestimmung von dem Leistungssoll in Bauverträgen bemüht werden, es sich aber um eine juristische Illusion handelt.


Prof. Dr. Gerd Motzke kam in seiner Betrachtung zum Ergebnis, dass die Legitimation von technischen Regelwerken als Voraussetzung für deren Anwendung eine Rechtsfrage ist und keine Frage, die durch technische Aufklärung beantwortet werden kann. In der Rechtsprechung wird bejaht, dass DIN-Normen (und ggf. andere technische Regelwerke) anerkannte Regeln der Technik (a.R.d.T.) wiedergeben, dies eine Beweiserleichterung darstellt, aber keine Beweislaständerung bewirkt. Die Ausführungen von Motzke stellen eine retrospektivische Betrachtung im Umgang mit Regelwerken aus juristischer Sicht dar, die nachvollziehbar und nach meinem Verständnis juristisch folgerichtig sind.

Der folgende Beitrag geht auf die Nöte aus Sicht eines Technikers ein, die sich aus den juristischen Überlegungen ergeben.

Werkleistungen müssen (neben der Einhaltung von Beschaffenheitsvereinbarungen) regelmäßig so beschaffen sein, dass sie die vom Vertrag vorausgesetzte und sonst die gewöhnliche Verwendungseignung sicherstellen. Zudem müssen sie praxisbewährt sein.

An welchen Vorgaben aber sollte man sich zur Einhaltung dieser grundlegenden werkvertraglichen Verpflichtung in einer Zeit der zunehmenden Rohstoffknappheit, der rasanten Produktentwicklung und daraus resultierenden stetigen Änderung von Bauprodukten, die schneller ist als jede Praxisbewährung nachgewiesen werden kann, orientieren? Können sich Baubeteiligte und Sachverständige auf Regelwerke stützen, gar enthaften, wenn sie Regelwerke bei der Auswahl von Bauweisen und Bauarten beachten oder ihre Beurteilung auf sie stützen?

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung von technischen Regelwerken, die eine grundlegend andere Bedeutung haben als juristische Regelwerke, die für das Funktionieren einer Gesellschaft gedacht und verfasst sind. Beide Arten von Regelwerken weisen zwar Gemeinsamkeiten auf, etwa der Gedanke, dass bei Beachtung etwas (perspektivisch) funktioniert.

Ein großer Unterschied besteht aber in der retrospektivischen Betrachtung von bereits Ausgeführtem. Bei Verstößen gegen Gesetze und Verordnungen hat der Staat Sanktionsmöglichkeiten, wobei insbesondere im Baubereich nicht selten Dispensoptionen bestehen. Technische Regelwerke sind aber nur in seltenen Ausnahmefällen für die Betrachtung des Vorhandenen verfasst, auch wenn sie regelmäßig zu diesem Zweck – nicht nur von Sachverständigen – angewendet werden. Das Ziel von privaten technischen Regelwerken ist nicht die Sanktion von Baubeteiligten, sondern die (perspektivische) Hilfestellung zum Erfolg.


Rechtliche Regeln

Rechtliche Normen, also Gesetze und Verordnungen, haben den Zweck, gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen. Dabei wählt jede Gesellschaft eine für sich passende Form, auch wenn es in keinem System ein Optimum gibt, das jedes Mitglied einer Gesellschaft zufriedenstellt. In manchen Gesellschaften wird ein größerer Teil der Mitglieder berücksichtigt, in anderen wird ein kleiner Teil bevorzugt und ein großer benachteiligt. Welches System »richtig« ist, entscheidet jede Gesellschaft für sich, auch wenn die Gestaltungsmöglichkeit für eine Mehrheit einer Gesellschaft in vielen Staatsthemen sehr eingeschränkt ist.

Es besteht dennoch die grundsätzliche Freiheit, Gesetze und Verordnungen selbst zu definieren. Unsere Gesellschaft arbeitet mit einem dogmatischen System, bei dem alle erlassenen Regeln auf einem grundlegenden Gesetz, dem Grundgesetz, aufbauen müssen. Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit sind Grundlage einer funktionierenden Gesellschaft, sie sind ihr innerer Kitt. Fehlt es an diesem, funktioniert eine Gesellschaft nur durch starke bis extreme Restriktionen.

In demokratischen Staatssystemen werden Regeln, also Gesetze und Verordnungen, nach demokratischen Verfahren ausgearbeitet und erlassen. Diese beinhalten die Bekanntgabe von Entwürfen zu rechtlichen Normen einschließlich Beteiligung entweder durch Vertreter von Bürgern oder unmittelbar. Erst nach einem Diskurs in Parlamenten oder durch Volksbefragung treten Gesetze und Verordnungen in Kraft. Sie gelten dann als demokratisch legitimiert.


Technische Regeln

Technische Regeln sollen bei der Umsetzung von technischen Aufgaben helfen. Dazu müssen technische Regeln zuallererst technisch richtig sein. Technisch falsche Regeln sind grundsätzlich unbrauchbar.

Technische Regeln sollen sich mit Naturwissenschaft, mit Physik, Chemie und Biologie, mit der Mechanik, mit technischen Abläufen und anderem beschäftigen. Sie sind nicht geeignet, Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu klären. Das ist auch nicht ihre Aufgabe.

Technische Regeln im Baubereich beschäftigen sich mit der Zukunft einer Sache sowohl für Ausgangsprodukte als Stoffnormen als auch deren Zusammenfügen als Verfahrensnormen. Sie sind perspektivisch gedacht, also für Planung und Ausführung. Da Regeln nicht den objektbezogenen Einzelfall und nicht mögliche Varianzen von Bauprodukten sowie von Bau- und Betriebsabläufen kennen können, beinhalten sie Vorhaltemaße, um den Erfolg unter Berücksichtigung von möglichen Varianzen sicherzustellen.

Technische Regeln unterliegen damit nicht den Grundsätzen der Entstehung von für gesellschaftliches Zusammenleben notwendigen rechtlichen Regeln. Auch eine Mehrheit einer Gesellschaft kann die Grundsätze von Naturwissenschaften nicht ändern. Oder einfach ausgedrückt: Die Entwicklung von technisch richtigen Regeln ist keine basisdemokratische Angelegenheit.

Für technisch richtige Regeln kommt es daher nicht darauf an, nach in unserer Gesellschaft richtigerweise geschätzten demokratischen Regeln vorzugehen, auch wenn das in vielen Fällen eine Hilfestellung sein mag. Dennoch kann ein Einzelner richtigliegen, während eine große Mehrheit falschliegen kann.

Der wesentliche Aspekt von technischen Regeln muss daher deren technische Richtigkeit sein, die sich nicht über demokratische Mehrheitsbeschlüsse nachweisen lässt.


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