1. Werden in einem selbständigen Beweisverfahren durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen mehrere Mängel begutachtet, endet die Hemmung der Ansprüche bezüglich der einzelnen Mängel grundsätzlich einheitlich erst mit Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens insgesamt, sofern das Gericht nicht zuvor zum Ausdruck gebracht hat, dass das Verfahren bezüglich einzelner Mängel schon vorher beendet sein soll. (Abweichend OLG Hamm, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 21 U 117/08; OLG Koblenz, Urteil vom 17. Mai 2013 – 10 U 286/12; OLG Oldenburg, Urteil vom 20. August 2019 – 13 U 60/16 und OLG Brandenburg, Beschluss vom 2. April 2020 und Beschluss vom 16. Juni 2020 – 12 U 77/19).
2. Bedarf eine Mangelbeseitigung einer planerischen Vorgabe des Auftraggebers, ist eine Aufforderung zur Mängelbeseitigung ohne diese planerische Vorgabe wirkungslos.
Aus den Gründen:
Das selbstständige Beweisverfahren endete […] nicht nach dem Ablauf der […] Stellungnahmefrist […] zum letzten Ergänzungsgutachten des Sachverständigen […].
Zwar endet die Verjährung regelmäßig mit der Übersendung des letzten Sachverständigengutachtens an die Parteien […]. Das Recht einer Partei, ergänzende Fragen zum Gutachten zu stellen oder die Vorladung des Sachverständigen zu beantragen, ändert nichts am Beginn der erneuten Verjährung, wenn solche Fragen oder Anträge nicht oder nicht in angemessener Zeit gestellt werden (BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92 Rn. 13). Anderes gilt, wenn das Gericht in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat – in diesem Fall endet die Unterbrechungswirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt (BGH, Urteil vom 20.02.2002 – VIII ZR 228/00 Rn. 13; OLG Hamm, Urteil vom 16.12.2008 – 21 U 117/08 Rn. 13). Vorliegend wurden innerhalb der gesetzten Frist keine Ergänzungsfragen oder Anträge gestellt, so dass das Beweissicherungsverfahren mit Ablauf des 23.03.2015 endete.
[…]
Das Beweissicherungsverfahren vor dem Landgericht Stuttgart […] hat die Verjährung […] nicht lediglich bis zur Übermittlung des ersten Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen an die Klägerin mit Fristsetzung […] nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB gehemmt. Werden mehrere Mängel in einem einheitlichen selbstständigen Beweisverfahren anhängig gemacht, richtet sich das Ende der Verjährungshemmung für alle geltend gemachten Mängel nach dem Abschluss des gesamten selbstständigen Beweisverfahrens. Der Senat weicht insoweit von der herrschenden Meinung ab.
Die Unterbrechung der Verjährung endet mit der Beendigung des Beweissicherungsverfahrens. Abgeschlossen ist die Beweissicherung mit ihrer sachlichen Erledigung. Das ist bei schriftlichen Sachverständigengutachten regelmäßig der Fall, wenn das Gutachten – bzw. das letzte Gutachten, wenn mehrere wegen desselben Mangels eingeholt werden – den Parteien übergeben wird; bei mündlicher Erläuterung des schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen endet die Beweisaufnahme und damit das Beweissicherungsverfahren mit dem Verlesen oder der Vorlage zur Durchsicht des Sitzungsprotokolls über die Vernehmung des Sachverständigen (BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92 Rn. 6).
Diese Grundsätze gelten nach herrschender Auffassung auch, wenn die Beweissicherung wegen mehrerer Mängel betrieben wird.
Sind mehrere, voneinander unabhängige Mängel desselben Bauvorhabens Gegenstand mehrerer Sachverständigengutachten, so endet die Beweissicherung nach herrschender Meinung hinsichtlich eines jeden dieser Mängel mit der Übermittlung oder Erläuterung des auf ihn bezogenen Gutachtens. Die Unterbrechung der Verjährung endet nach dieser Auffassung auch dann jeweils mit dem Abschluss der einzelnen mangelbezogenen Beweissicherung, wenn die verschiedenen Mängel und Sachverständigengutachten Gegenstand nur eines, formal zusammengefassten Verfahrens geworden sind (BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92 Rn. 7; Koeble in: Kniffka/Koeble u.a., Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 14 Rn. 198). Dies folge aus der rechtlichen Selbstständigkeit eines Mangels und der sich aus ihm ergebenden Ansprüche einschließlich ihrer Verjährung (BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92 Rn. 7).
Zu Recht macht die Klägerin geltend, dass der Bundesgerichtshof keine Entscheidung trifft in Bezug auf den unterschiedlichen Verjährungsbeginn im Fall mehrerer in einem einzigen Gutachten untersuchter Mängel. Der Bundesgerichtshof führt in der genannten Entscheidung ausdrücklich aus, dass er die Frage behandelt, wie bei mehreren Gutachten zu verschiedenen Mängeln zu entscheiden ist (BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92 Rn. 11). […]
In dem Fall, dass ein einheitliches Gutachten zu mehreren Mängeln erstellt wurde, ergibt sich nach herrschender Auffassung keine Abweichung von dem Grundsatz, dass die Verjährung für jeden einzelnen Mangel gesondert zu prüfen sei (OLG Oldenburg, Urteil vom 20.08.2019 – 13 U 60/16; OLG Koblenz, Urteil vom 17.05.2013 – 10 U 286/12; OLG Hamm, Urteil vom 16.12.2008 – 21 U 117/07; Meller-Hannich, beck-online.GroßKomm., Stand 01.06.2021, § 204 Rn. 295; vgl. Schmidt-Räntsch in: Erman BGB, 16. Aufl., § 204 Rn 45 am Ende). Die Hemmung durch das selbstständige Beweisverfahren erfolge für jeden Mangel nur insoweit, als gerade seinetwegen noch eine Begutachtung stattfinde (Henrich in: BeckOK, Stand 01.08.2021, § 204 Rn. 75). Dies soll auch dann gelten, wenn derselbe Sachverständige mehrere Mängel untersucht.
[…] Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz (Urteil vom 17.05.2013 – 10 U 286/12 Rn. 42) bezieht sich auf den Fall, dass die einzelnen Mängel in einem gemeinsamen Gutachten des Sachverständigen beurteilt wurden, jedoch nur bezüglich eines Teils der Mängel das selbstständige Beweisverfahren weiterbetrieben wurde. Das Oberlandesgericht Koblenz ist der ausdrücklichen Rechtsauffassung, dass dieser Umstand für den getrennten Verjährungsbeginn keine Rolle spiele, nachdem allein die Verschiedenartigkeit der Mängel und nicht der Umstand, ob diese in verschiedenen Gutachten beurteilt werden, maßgeblich sei […]. Insbesondere beziehe sich die Hemmungswirkung des selbstständigen Beweisverfahrens auf einzelne Mängel und Antragsgegner, nicht aber auf mehrere Gewerke und das viele Mängel betreffende Beweisverfahren im Ganzen (a.a.O.).
Auch das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 16.12.2008 – 21 U 117/08 Rn. 10) ist der Auffassung, dass der Grundsatz der unterschiedlichen Verjährungsfristen für verschiedene Mängel auch dann gilt, wenn nur ein Sachverständiger unterschiedliche Mängel untersucht und nur für Teile der Mängel das Beweissicherungsverfahren fortgesetzt wird (a.a.O.).
Schließlich geht auch das Oberlandesgericht Brandenburg von einer für jeden Mangel gesondert zu prüfenden Verjährung aus, wenn die Begutachtung insoweit abgeschlossen und hinsichtlich anderer Mängel durch denselben Sachverständigen fortgesetzt wird (OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.04.2020 und Beschluss vom 16.06.2020 – 12 U 77/19 – Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen: BGH, Beschluss vom 02.12.2020 – VII ZR 109/20).
Auch hinsichtlich der Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg – 13 U 60/16 – geht die Klägerin zu Unrecht von der fehlenden Übertragbarkeit auf den vorliegenden Sachverhalt aus. Die Entscheidung behandelt ebenfalls den Fall, dass ein Sachverständiger ein Gutachten erstellt, welches einen Mangel abschließend behandelt und danach derselbe Sachverständige weitere Ergänzungsgutachten zu anderen Mängeln erstellt (OLG Oldenburg, Urteil vom 20.08.2019 – 13 U 60/16 Rn. 26). Diese Konstellation ist folglich die gleiche wie im vorliegenden Fall.
Soweit das Kammergericht Berlin hingegen im Grundsatz ebenfalls von dem unterschiedlichen Verjährungsschicksal für verschiedene, von demselben Sachverständigen im Beweissicherungsverfahren untersuchten Mängel ausgeht (KG, Urteil vom 23.07.2013 – 27 U 72/11, beck-online), behandelt es den Fall, dass nach der Überzeugung des Gerichts als unterschiedlich zu betrachtende Mängel im Laufe des Beweissicherungsverfahrens erstmals nach Ablauf der Verjährungsfrist mittels Ergänzungsfragen anhängig gemacht wurden. Damit ist der dortige Sachverhalt nicht vergleichbar mit der vorliegenden Konstellation.
Der Senat hält die genannte Rechtsprechung und herrschende Meinung indes für nicht überzeugend, unabhängig davon, ob die Beweiserhebung zu mehreren Mängeln im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens durch einen oder mehrere Sachverständige erfolgt.
Es besteht nach Auffassung des Senats kein Anlass, die Verjährung hinsichtlich unterschiedlicher Mängel, welche im Rahmen eines einheitlichen selbstständigen Beweisverfahrens anhängig gemacht werden, zu verschiedenen Zeitpunkten weiterlaufen zu lassen, solange das Gericht keine klare Abschichtung einzelner Mängel im selbstständigen Beweisverfahren herbeiführt. Wenn aus der rechtlichen Selbstständigkeit eines Mangels ein potenzielles eigenständiges Ende des Beweissicherungsverfahrens hergeleitet wird, werden materielles Recht und Verfahrensrecht unzulässig verknüpft und dabei allgemeine Verfahrensgrundsätze außer Acht gelassen.
Sind mehrere, voneinander unabhängige Mängel desselben Bauvorhabens Gegenstand mehrerer Sachverständigengutachten, so endet die Beweissicherung nach herrschender Meinung hinsichtlich eines jeden dieser Mängel mit der Übermittlung oder Erläuterung des auf ihn bezogenen Gutachtens. Die Unterbrechung der Verjährung endet nach dieser Auffassung auch dann jeweils mit dem Abschluss der einzelnen mangelbezogenen Beweissicherung, wenn die verschiedenen Mängel und Sachverständigengutachten Gegenstand nur eines, formal zusammengefassten Verfahrens geworden sind (BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92 Rn. 7; Koeble in: Kniffka/Koeble u.a., Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 14 Rn. 198). Dies folge aus der rechtlichen Selbstständigkeit eines Mangels und der sich aus ihm ergebenden Ansprüche einschließlich ihrer Verjährung (BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92 Rn. 7).
OLG Stuttgart, Urteil vom 30.11.2021, Az. 10 U 58/21
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