• 28.01.2021

Rechtsprechungstipp: Sachverständigenhaftung – mangelhaftes Gutachten durch Nichtaufnahme gewonnener Erkenntnisse

Leitsatz

Beruft sich der Sachverständige, der ein mangelhaftes schriftliches Gutachten erstattet hatte, im gegen ihn geführten Schadensersatzprozess darauf, er habe gewonnene Erkenntnisse in das Gutachten nicht aufgenommen, um seinem Auftraggeber eine Kreditaufnahme zu erleichtern, so muss er nachweisen, dass er den Auftraggeber anderweit ordnungsgemäß über die Umstände aufgeklärt hat, die nicht im schriftlichen Gutachten enthalten sind.


Sachverhalt

Die Parteien stritten um Schadensersatzansprüche wegen einer Pflichtverletzung des beklagten Sachverständigen bei der Ausführung eines Beratungsauftrags zur sachverständigen Beurteilung von Wert und Renovierungsaufwand einer zu erwerbenden Bestandsimmobilie.

Mitte Oktober 2013 führten der (beklagte) Sachverständige mit seinem Auftraggeber (Kläger) und dem Grundstückseigentümer die Begehung eines Wohnhauses durch. Der Inhalt der dabei geführten Gespräche ist zwischen den Parteien streitig.

Ende Oktober 2013 legte der Sachverständige ein schriftliches Begehungsprotokoll vor. Darin heißt es abschließend: »Die Immobilie bedarf einer Sanierung. Sie weist keine gravierenden Mängel auf, die auf weitere Mängel schließen lassen. Die hier angebotene Immobilie erfordert Instandsetzungs- bzw. Modernisierungsmaßnahmen ... geschätzt ... 86.500 Euro. ... Ich halte einen Verkaufspreis für das angebotene Anwesen von ca. 55.000 Euro für angemessen.«

Daraufhin erwarb der Auftraggeber (Kläger) im November 2013 mit notariellem Kaufvertrag das zuvor besichtigte Grundstück für 67.000 Euro und begann sodann mit der Durchführung von Renovierungsarbeiten in Eigenregie. Im Jahr 2016 wurde ein Architekt mit Beratungsleistungen zum weiteren Ausbau des erworbenen Anwesens beauftragt. Dieser kam nach einer Besichtigung des Hauses zu dem Ergebnis, dass wegen der Mängel mit Sanierungskosten von geschätzt 254.200 Euro zu rechnen sei.

Der Grundstückskäufer und frühere Auftraggeber des Gutachters verlangte daher von diesem Schadenersatz in Höhe von insgesamt 114.851,78 Euro, da der Sachverständige ihn vor dem Kauf nicht ordnungsgemäß über den Zustand des Hauses aufgeklärt habe. Das Haus habe die einzelnen, später festgestellten Mängel bereits im Zeitpunkt der Besichtigung durch den Sachverständigen aufgewiesen und diese Mängel seien auch für einen Fachmann erkennbar gewesen. In Kenntnis der Mängel das Anwesen hätte der Kläger die Hausimmobilie nicht erworben.

Der beklagte Sachverständige wendete ein, dass die Kläger behaupteten schwerwiegenden Mängel nicht vorlägen. Auch habe er den Kläger umfassend mündlich über seine Einschätzung des Zustands des Hauses und über den tatsächlichen Umfang des Sanierungsbedarfs informiert. Die klägerseits behaupteten Sanierungskosten seien unzutreffend.

Das Landgericht hatte in erster Instanz im November 2018 die Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Hiergegen hatten beide Parteien Berufung eingelegt.

Das Berufungsgericht änderte auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts ab und urteilte, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt sei, soweit der Kläger auf Leistung (Zahlung) klagte. Es wird ferner festgestellt, dass der beklagte Sachverständige verpflichtet ist, seinem früheren Auftraggeber sämtliche über den Leistungsantrag hinausgehenden künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Dienstleistungsvertrag von Mitte Oktober 2013 herrühren.


Aus den Gründen

Die Haftung des beklagten Sachverständigen auf Schadenersatz ist dem Grunde nach gegeben. …

Bei dem geschlossenen Vertrag handelt es sich im Kern um einen Werkvertrag.

Entgegen seiner Bezeichnung als »Dienstleistungsvertrag« begründet der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag in seinen … maßgeblichen Teilen werkvertragliche Pflichten. Geschuldet wird nicht nur eine Bemühung des Beklagten durch Unterstützung des Auftraggebers (= Kläger), sondern eine Prüfung und – das ist das zentrale Erfolgselement – eine Mangelfeststellung und -bewertung nach Sichtprüfung. Der beklagte Sachverständige hatte das Ergebnis seiner Untersuchung – seine Beurteilung – dem Auftraggeber mündlich oder schriftlich im Rahmen eines Protokolls der Ortsbesichtigung mitzuteilen. Damit entspricht der Vertrag in den streitgegenständlichen Leistungsanforderungen einem Begutachtungsauftrag, der regelmäßig als Werkvertrag zu qualifizieren ist.

Der beklagte Sachverständige hat seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt, indem er pflichtwidrig ein unvollständiges und damit unzutreffendes Begehungsprotokoll erstellt hat.

Die Pflicht, eine sachverständige Beurteilung oder Stellungnahme abzugeben, ist ordnungsgemäß erfüllt, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – der Sachverständige die Aufgabenstellung erschöpfend abarbeitet und eine fachlich zutreffende Beurteilung abgibt. Der Vertrag der Parteien weicht von diesem Grundsatz nicht ab, schränkt allerdings die geforderte Prüfungstiefe des Sachverständigen insoweit ein, als dieser lediglich die augenscheinlich erkennbaren Baumängel zu bewerten hatte und weitergehende Untersuchungen, für die etwa Bauteilöffnungen erforderlich werden könnten, nur nach gesonderter weiterer Beauftragung – die hier nicht erfolgt ist – vorzunehmen hatte. Der beklagte Sachverständige schuldete mithin eine vollständige und fehlerfreie Begutachtung, soweit sie auf der Grundlage von Augenschein möglich war. Diese Anforderungen hat er pflichtwidrig unterschritten.

Wie das Landgericht zutreffend … ausgeführt hat, …, war das vom Beklagten vorgelegte Begehungsprotokoll von Ende Oktober 2013 unvollständig, weil es nicht alle vom Beklagten festgestellten Mängel auswies und den Sanierungsaufwand mit lediglich rund zwei Fünfteln der von ihm tatsächlich für erforderlich gehaltenen Kosten bezifferte.

Der beklagte Sachverständige hat in den mündlichen Verhandlungen ausgeführt: »Hätte ich die Aufwendungen so angegeben in meinen schriftlichen Ausführungen, wie ich sie festgestellt habe, dann wären diese viermal so hoch gewesen wie der Kaufpreis, den ich vorgeschlagen hatte.« Das bedeutet, dass der beklagte Sachverständige die Aufwendungen mit 220.000 Euro schätzte, ausgehend von einem von ihm vorgeschlagenen Kaufpreis von 55.000 Euro. Die im Begehungsprotokoll angegebenen Sanierungskosten beliefen sich dagegen auf lediglich geschätzte 86.500 Euro. Weiter hat der beklagte Sachverständige bestätigt: »Ich habe die weiteren Schadensfeststellungen nicht ins Protokoll geschrieben.«

Nach Ansicht des beklagten Sachverständigen habe die Information über den tatsächliche Sanierungsaufwand in dem Protokoll nichts verloren. Er habe die Probleme mit der Feuchtigkeit im Keller thematisiert und seinem Auftraggeber erklärt, die Wände seien vor einer Woche frisch gestrichen worden. Damit habe der Verkäufer einen massiven Wasserschaden zu vertuschen versucht. Es habe sich um eindringende Feuchtigkeit von außen gehandelt. Mit den insoweit unstreitigen informatorischen Erklärungen des Beklagten kommt es für die Frage nach der Haftung dem Grunde nach nicht auf den Streit darüber an, ob weitergehende Mängel vorhanden und ob diese Mängel bei einer augenscheinlichen Kontrolle für den Fachmann erkennbar waren.

Die Pflichtverletzung wird nicht dadurch infrage gestellt, dass der Auftraggeber nach eigener Angabe beabsichtigt hatten, die Sanierung in weiten Teilen in Eigenregie durchzuführen. Aus dem Dienstleistungsvertrag ergab sich keine Beschränkung des Auftrags dahin, dass nur diejenigen Mängel benannt und bewertet werden sollten, die durch Drittfirmen beseitigt werden könnten. … Damit verblieb es bei der vertraglichen Pflicht, den anstehenden Gesamtsanierungsaufwand abzuschätzen, soweit er aufgrund augenscheinlicher Prüfung feststellbar war.

Der beklagte Sachverständige rechtfertigte die Vorlage eines unzutreffenden Begehungsprotokolls damit, dass er den wahren Umfang seiner Feststellungen dem Auftraggeber (Kläger) mündlich mitgeteilt hätte. Dies habe er getan, da er mit seinem Auftraggeber extra vereinbart habe, die Kosten für die vorzunehmende Sanierung nicht zu hoch anzusetzen. Er habe mit dem Auftraggeber darüber gesprochen, dass es angesichts der für ihn erforderlichen Finanzierung nicht gut sei, alles in das Gutachten reinzuschreiben, denn dann würde sie von keiner Bank Geld bekommen. Der Kläger hat diese Aussagen bestritten und ausgeführt, er habe zwar gesagt, seine finanziellen Verhältnisse seien beschränkt und man müsse noch einen Kredit aufnehmen, wozu es aber später nicht gekommen sei. Eine Vereinbarung, wie vom beklagten Sachverständigen behauptet, dass er die Kosten niedriger ansetzen solle, habe es nicht gegeben. Der Kläger habe selbst wissen wollen, ob er und sein Ehegatte die finanzielle Belastung durch die Sanierung stemmen können. Auch habe der Beklagte … sie keineswegs mündlich über die von ihm wahrgenommenen Mängel unterrichtet. Er habe sie nicht über das durch den frischen Anstrich verdeckte Feuchtigkeitsproblem im Kellergewölbe unterrichtet. Der Riss im Dachgiebel sei von ihm nicht thematisiert worden. Es sei lediglich darüber gesprochen worden, dass die Wärmedämmung überall, nur nicht an der Westseite des Hauses, angebracht werden müsse. Weiterhin habe er ihr nicht mitgeteilt, dass die von ihm angenommenen Sanierungsaufwendungen viermal so hoch anzusetzen seien wie der von ihm vorgeschlagene Kaufpreis. Schließlich … habe der beklagte Sachverständige nicht vom Kauf des Hauses abgeraten.

Nach allgemeinen Grundsätzen muss diejenige, der eine Pflichtverletzung seines Vertragspartners behauptet, deren Voraussetzungen beweisen. Vorliegend erfährt dieser Grundsatz aufgrund der geschilderten Vorgänge jedoch eine Modifikation. Der beklagte Sachverständige beruft sich nämlich darauf, mit seinem Auftraggeber (Kläger) eine Abweichung – im Sinne einer Unterschreitung der vereinbarten Standards – vom ursprünglichen Vertragssoll vereinbart zu haben. Das von ihm vorgelegte Begehungsprotokoll sollte nach der Darstellung des beklagten Sachverständigen letztlich zur Täuschung der Banken den Zustand des Hauses besser und die erforderlichen Sanierungskosten niedriger erscheinen lassen, als sie tatsächlich waren. Für diese abweichende Festlegung des Vertragssolls und damit auch für die daran zu messende Mangelfreiheit des vorgelegten Werks, die bei Anlegung des ursprünglichen Maßstabs gerade nicht mehr gegeben war, ist der Beklagte beweispflichtig.

Zu gleichem Ergebnis führt in diesem Zusammenhang die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der ursprünglichen Vertragsurkunde, die das ursprüngliche Vertragssoll beschrieb. Diese Vermutung folgt aus dem Erfahrungssatz, dass das, was die Vertragsparteien in der Urkunde aufgenommen haben, ihre Abreden richtig und vollständig widerspiegelt, weshalb sie allerdings auf das vom beklagten Sachverständigen einseitig erstellte Begehungsprotokoll keine Anwendung findet. Die Vermutung bewirkt, dass die Beweislast für außerhalb der Urkunde liegende Umstände die Partei trifft, die sich auf sie beruft.

Der beklagte Sachverständige hat … den ihm obliegenden Beweis nicht geführt. Damit steht zugleich auf der Grundlage seiner eigenen Aussage fest, dass der beklagte Sachverständige dem ursprünglichen und weiterhin gültigen Leistungssoll, ein vollständiges und richtiges Gutachten zu erstatten, mit dem Begehungsprotokoll nicht genügt hat. In dieser Situation muss nicht der Auftraggeber (Kläger) nachweisen, dass er vom beklagten Sachverständigen nicht über den wahren Zustand der Immobilie und die wahren Sanierungskosten abweichend von und entgegen dem Begehungsprotokoll mündlich unterrichtet worden ist, sondern der beklagte Sachverständige muss beweisen, dass er die mündliche Aufklärung ordnungsgemäß erbracht hat, obwohl er bewusst ein fehlerhaftes schriftliches Gutachten erstattet hat.

Das nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutete Verschulden hat der Beklagte im Übrigen selbst eingeräumt.

OLG Nürnberg, Urteil vom 28.05.2020, Az. 13 U 56/19


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