• 16.01.2024

Rechtsprechungstipp: Erbringung des Sachkundenachweises bei der IHK für ö.b.u.v. Bestellung und Vereidigung eines Sachverständigen

Leitsätze

  1. Zur Feststellung der besonderen Sachkunde gemäß § 36 Abs. 1 GewO darf die IHK den Antragsteller auf ein prüfungsähnliches Verfahren vor einem Fachgremium verweisen und dessen Beurteilung als gutachtliche Stellungnahme verwerten, ohne jedoch daran gebunden zu sein.
  2. Die IHK und das Verwaltungsgericht haben in eigener Verantwortung den Aussagewert der Stellungnahme des Fachgremiums zu beurteilen.
  3. Ein Beurteilungsspielraum kommt der IHK nicht zu, der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Sachkunde ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar.

VG Gelsenkirchen, Urteil vom 12.05.2023, Az. 19 K 3649/21


Zum Sachverhalt

Die Klägerin ist öffentlich bestellte Vermessungsingenieurin mit der von der Universität G. verliehenen Berechtigung, die Bezeichnung »Diplom-Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, für Mieten und Pachten« zu führen. Das Prüfungszeugnis weist aus, dass die Klägerin im Fachgebiet Immobilienbewertung die Note »befriedigend (2,7)« erhalten hatte. Die DIAZert – Zertifizierungsstelle der DIA Consulting AG bescheinigte ihr dementsprechend den Nachweis der Kompetenz als Zertifizierte Immobiliengutachterin für die Marktwertermittlung gemäß ImmoWertV von Standardimmobilien.

Ende März 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die öffentliche Bestellung und Vereidigung als Sachverständige für das Sachgebiet der Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken. Sie fügte u.a. die vorgenannten Bescheinigungen, Referenzen und fünf von ihr erstellte Wertgutachten bei, die ein Wohnungseigentum innerhalb eines Zweifamilienhauses in F. (I.), ein mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebautes Grundstück in W. (II.), ein mit einem Geschäftshaus bebautes Grundstück in Z. (III.), ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück in T. (IV.) und die Feststellung der ortsüblichen Miete einer Wohnung in F. (V.) betrafen.

Die Beklagte ließ die vorgelegten Gutachten durch ein Fachgremium bei der IHK Q. bewerten. Diese teilte Mitte Juni 2020 mit, dass die Gutachten die Vorprüfung nicht bestanden hätten. Da die Beklagte beabsichtigte, den Antrag abzulehnen, reichte die Klägerin überarbeitete Fassungen der fünf Gutachten ein mit der Bitte, sie einer weiteren Prüfung durch ein Fachgremium bei einer anderen IHK in L. zu unterziehen. Der vom Fachgremium der IHK L. beauftragte Dipl.-Ing. T. kam in einer 17-seitigen Stellungnahme Anfang März 2021 zu dem Ergebnis, dass die Gutachten nicht den Anforderungen an Gutachten öffentlich bestellter und beeidigter Sachverständiger entsprächen.

In einer ergänzenden Stellungnahme zu den Eingaben der Klägerin führte er aus, dass die Gutachten I. bis IV. durchgängig so gravierende und zahlreiche Defizite aufwiesen, dass sie zum Nachweis der besonderen Sachkunde nicht geeignet seien. Das Gutachten V. wende die Kriterien eines qualifizierten Mietspiegels zutreffend an, lasse jedoch keine bewertbare Eigenleistung erkennen.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin – aufgrund einstimmigen Votums der Mitglieder ihres Sachverständigenausschusses – mit Bescheid aus August 2021 ab.

[…]

Hiergegen hat die Klägerin im September 2021 Klage erhoben und verfolgte das Ziel, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids aus August 2021 zu verpflichten, sie als Sachverständige für das Sachgebiet »Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken« zu bestellen und zu vereidigen.


Aus den Gründen

Das Verwaltungsgericht wies die Klage als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus: 

Die Ablehnung der Bestellung und Vereidigung der Klägerin als Sachverständige für das im Antrag bezeichnete Sachgebiet durch den Bescheid aus August 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Sachverständigenbestellung.

Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des § 36 Abs. 1 GewO i.V.m. § 3 Ziffer 2 lit. d) der auf Grundlage der Ermächtigung in § 36 Abs. 4 GewO beschlossenen Sachverständigenordnung der Beklagten – SVO – liegen nicht vor. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO können Personen auf den Gebieten der Wirtschaft nur dann als Sachverständige öffentlich bestellt werden, wenn sie besondere Sachkunde für das betreffende Sachgebiet nachweisen. Im Einklang damit bestimmt § 3 Ziffer 2 SVO als Voraussetzung für die öffentliche Bestellung als Sachverständiger u.a. unter d), dass er erheblich über dem Durchschnitt liegende Fachkenntnisse, praktische Erfahrungen und die Fähigkeit, sowohl Gutachten zu erstatten als auch die in § 2 Abs. 2 (SVO) genannten Leistungen zu erbringen, nachweist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Voraussetzungen für die öffentliche Bestellung und Vereidigung ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung.

Der Nachweis der besonderen Sachkunde kann auf jede geeignete Weise erbracht werden. Er ist nicht schon dadurch geführt, dass der Antragsteller seinen Beruf bisher fachlich ordnungsgemäß ausgeübt hat. Wenn die von ihm vorgelegten Sachkundenachweise für die Feststellung erheblich über dem Durchschnitt liegender Kenntnisse und Fähigkeiten unergiebig sind, darf ihn die IHK auf ein prüfungsähnliches Verfahren vor einem Fachgremium verweisen und dessen Beurteilung als gutachtliche Stellungnahme verwerten, ohne jedoch daran gebunden zu sein. Die IHK und demzufolge auch das Verwaltungsgericht haben in eigener Verantwortung den Aussagewert der Stellungnahme des Fachgremiums zu beurteilen. Ein Beurteilungsspielraum kommt der IHK nicht zu, der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Sachkunde ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2014 – 8 B 61.13 –, juris, m.w.N.).

Nach diesen Maßgaben ist der Nachweis der besonderen Sachkunde der Klägerin nicht erbracht.

Er ergibt sich zunächst weder aus der Verleihung der Bezeichnung »Diplom-Sachverständige« durch die Universität G. noch aus der Zertifizierung durch die DIA Consulting AG noch aus den dem Bestellungsantrag beigefügten Referenzen, sodass die Beklagte die Klägerin zu Recht auf Bewertungen ihrer Gutachten durch Fachgremien verwiesen hat. Die Bewertung der Klägerin im Fachgebiet Immobilienbewertung mit der Note »befriedigend (2,7)« durch die Universität G. spricht vielmehr gegen erheblich über dem Durchschnitt liegende Kenntnisse und Fähigkeiten. Mit der Note »befriedigend« sind nämlich Leistungen bezeichnet, die in jeder Hinsicht nur durchschnittlichen Anforderungen entsprechen.

Die Zertifizierung gibt ebenfalls nichts für eine erheblich überdurchschnittliche Qualität der Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin her. Sie besagt nur, dass die Klägerin die zugrunde liegenden Prüfungen bestanden hat. Dementsprechend trägt die Klägerin selbst bezogen auf das Gutachten zu I. lediglich vor, dass die DIA Consulting AG es als »bestanden« bewertet hat. Die vorgelegten Referenzen belegen nur die Zufriedenheit verschiedener Auftraggeber der Klägerin mit den von ihr erstellten Gutachten. Diese subjektiven, nicht mit detaillierten Tatsachen untermauerten Wahrnehmungen erlauben keine Schlüsse auf erheblich über dem Durchschnitt liegende Kenntnisse und Fähigkeiten.

Der Nachweis solcher Kenntnisse und Fähigkeiten ist durch die den Fachgremien in Q. und L. vorgelegten Gutachten der Klägerin nicht erbracht worden, sondern gescheitert.

Nach den Bewertungen dieser Gutachten durch die Fachgremien steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Gutachten zu I. bis IV. nicht den zu stellenden Anforderungen an die Bewertung von Immobilien genügen und das Gutachten zu V. mangels entsprechender Eigenleistung zum Nachweis erheblich überdurchschnittlicher Kenntnisse und Fähigkeiten unergiebig ist. Diese Beurteilungen der Leistungen der Klägerin sind als sachverständige Stellungnahmen verwertbar, sie vermitteln dem Gericht die erforderliche Sachkunde und Überzeugung. Sie sind entgegen der Auffassung der Klägerin sachlich, detailliert, schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Besonders überzeugend ist, dass sie in einer Vielzahl von entscheidenden Punkten unabhängig voneinander zu denselben durchgreifenden Beanstandungen gelangen. […]

Die Einwände der Klägerin sind nicht geeignet, die Überzeugungskraft dieser sachverständigen Stellungnahmen in Zweifel zu ziehen. […] Dass keines ihrer Gutachten positiv gewertet wurde, belegt diesen Vorwurf nicht, sondern lässt sich ohne Weiteres darauf zurückführen, dass sich diesen Gutachten tatsächlich die erforderliche Qualität nicht entnehmen lässt.

Vor diesem Hintergrund ist eine Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Bewertung der Gutachten der Klägerin nicht veranlasst, da bereits überzeugende Sachverständigenäußerungen mit den Stellungnahmen der Fachgremien der IHKn Q. und L. vorliegen.

[…]

Die Entscheidung kann kostenlos über die Rechtsprechungsdatenbank Nordrhein-Westfalen im Volltext abgerufen werden.


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