• 18.07.2022

Rechtsprechungstipp: Darlegungslast bei Verzug durch Auswirkungen der Corona-Pandemie

Ein Werkunternehmer oder Bauträger hat seinen Verzug nicht zu vertreten, soweit er durch schwerwiegende, unvorhersehbare und unabwendbare Umstände an der rechtzeitigen Erfüllung gehindert war. Ist es umstritten, ob die Auswirkungen der Corona-Pandemie einen Werkunternehmer in diesem Sinne vom Verzug entlasten, so hat er darzulegen, wie sich ein von ihm nicht zu verantwortender Umstand im Einzelnen auf den Herstellungsprozess ausgewirkt und ihn verzögert hat (»bauablaufbezogene Darstellung«).


Aus den Gründen

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Bauträgervertrag wegen verspäteter Fertigstellung einer Wohnung. Das Kammergericht (Berufungsgericht) bejahte einen Anspruch der Kläger wegen der verspäteten Übergabe der gekauften Wohnung gemäß §§ 280, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Höhe von 28.809,70 Euro.

Mit dem fruchtlosen Verstreichen des vertraglich bestimmten Termins für die bezugsfertige Herstellung der Wohnung, dem 30.6.2018, befand sich die Beklagte mit der Übergabe der Wohnung in Verzug. [...] Der Verzug der Beklagten endete erst mit Übergabe der Wohnung am 6.7.2020. Die Beklagte hat es durchgängig zu vertreten, dass sie die Wohnung erst an diesem Tag und nicht früher den Klägern übergeben konnte, § 286 Abs. 4 BGB.

Insbesondere vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Beklagte durch Umstände, die sie weder vorsätzlich noch fahrlässig verursacht hat (§ 276 BGB), an einer rechtzeitigen Leistung gehindert worden wäre.

Die Beklagte beruft sich darauf, dass ihr im Zeitraum März bis Juli 2020 die Fertigstellung der Wohnung durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie erschwert worden sei und sie ihren Fertigstellungsverzug insoweit nicht zu vertreten habe.

Daran ist zutreffend, dass ein Sachleistungsschuldner wie ein Bauunternehmer oder Bauträger die Verspätung seiner Leistung möglicherweise nicht zu verantworten hat, soweit sie auf eine schwerwiegende und nicht vorhersehbare Änderung der wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Rahmenbedingungen zurückgeht und für ihn unabwendbar ist. Im Fall eines Bauvertrags gemäß der VOB/B hat ein Bauunternehmer in einem solchen Fall Anspruch auf Verlängerung von Ausführungsfristen gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B. So ist es beispielsweise möglich, dass ein Bauvorhaben im ersten Halbjahr 2020 ins Stocken geriet, weil aufgrund von Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Arbeitskräfte nicht aus dem Ausland nach Deutschland einreisen konnten oder weil Baumaterialien nicht geliefert werden konnten.

Die abstrakte Möglichkeit derartiger Erschwernisse allein genügt aber nicht, damit ein nach dem Beginn der Corona-Krise im März 2020 eingetretener Leistungsverzug nicht von einem Bauunternehmer zu vertreten wäre. Da es gemäß § 286 Abs. 4 BGB gesetzlich vermutet wird, dass ein Schuldner die Nichteinhaltung eines Termins für seine Leistung zumindest fahrlässig verschuldet hat, hat ein Bauunternehmer, der sich auf diesem Weg von seinem Verzug entlasten will, konkret darzulegen, wie sich der schwerwiegende und unvorhersehbare Umstand, auf den er sich beruft, auf den Ablauf des Bauvorhabens ausgewirkt hat (»bauablaufbezogene Darlegung«).

Der Unternehmer hat vorzutragen, welcher seiner Arbeitsabläufe durch einen solchen Umstand wann gestört wurde, wie lange die Störung andauerte und wie dies konkret die Fertigstellung der Arbeiten beeinflusst hat. Dabei ist zu beachten, dass die Störung eines einzelnen Ablaufs nicht zwangsläufig zur Verzögerung des Gesamtablaufs führen muss, nämlich dann nicht, wenn andere Abläufe, die von der Störung nicht betroffen sind, vorgezogen und der gestörte Ablauf nachgeholt werden kann, ohne dass sich die Gesamtfertigstellungszeit hierdurch verlängert.

Auf diese Darlegungslast haben sowohl das Landgericht im angegriffenen Urteil als auch der Senat in seinem Schreiben vom 28.2.2022 die Beklagte hingewiesen. Das Vorbringen der Beklagten genügt dieser Anforderung nicht.

Allerdings kann der Beklagten die Entlastung von ihrem Verzug durch coronabedingte Störungen nicht schon deshalb verwehrt werden, weil sie die Wohnung den Klägern bereits Ende Juni 2018 hätte übergeben müssen und sie nicht vorträgt, warum sie die Verspätung bis März 2020, als die Corona-Pandemie weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft in Deutschland zu entfalten begann, nicht zu vertreten haben könnte. Damit hat es die Beklagte zu verantworten, dass ihre eigentlich 2018 fälligen Arbeiten so lange dauerten, dass sie noch von der Corona-Pandemie beeinflusst werden konnten.

Dies ändert aber nichts daran, dass sich die Corona-Pandemie sodann in einer Form auf das Bauvorhaben ausgewirkt haben kann, die die Beklagte nicht abwehren konnte. Derartige Beeinträchtigungen könnten natürlich nicht mehr die Verantwortlichkeit der Beklagten für ihren Fertigstellungsverzug von Juli 2018 bis März 2020 rückwärtig ändern, wohl aber, dass ihr eine weitere Verzögerung danach nicht mehr zugerechnet werden kann.

Allerdings hat es die Beklagte unterlassen, konkret und mit Bezug auf den Ablauf ihres Bauvorhabens darzulegen, inwieweit sie durch unvorhersehbare coronabedingte Störungen an einer Fertigstellung der Wohnung vor dem tatsächlichen Übergabetermin, dem 6.7.2020, gehindert war. Sie hat sich nur pauschal darauf berufen, dass »Bauarbeiter diverser Nationalitäten ihren Zielort nicht erreichen« konnten [...], dass »Lieferketten, insbesondere für Baumaterialien, bekanntlich unterbrochen« gewesen seien [...] sowie dass Hygienevorschriften und Abstandsregeln den Arbeitsfortschritt auf der Baustelle gehemmt hätten [...].

Dies ist nicht ausreichend, weil vollständig unklar bleibt, welcher konkrete Arbeitsablauf auf der Baustelle durch welche Störungen ab wann beeinträchtigt war, wie lange die Störung andauerte und inwieweit dies Auswirkungen auf die hier in Rede stehende Leistung hatte, also die Fertigstellung der von den Klägern gekauften Wohnung Nr. 11.

Den Klägern ist durch diesen Verzug der Beklagten ein Schaden von 28.809,70 Euro entstanden. Der Schaden der Kläger, der in der Vorenthaltung des physischen Nutzwerts der Wohnung im Verzugszeitraum vom 24 Monaten (von Juli 2018 bis Juni 2020) liegt, ist mit 21.755,00 Euro zu beziffern.

[...]


KG Berlin, Urteil vom 24.05.2022, Az.  21 U 156/21


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